Hugo von Hofmannsthal, Rebekka David & Ensemble
Ich wollte nie deine Schuhe tragen. Aber ich träume noch davon, wie wir spazieren gehen, du und ich, und nur für einmal bis zum Kiosk und zurück leihst du mir deine Turnschuhe und schlüpfst selbst in meine alten Stiefel. Weißt du noch? Deine haben mir nie gepasst, aber ich konnte mich doch mal hineinstellen und erfühlen, wo sie drücken. Warum geht das jetzt nicht mehr? Wir haben uns doch mal verstanden, tatsächlich verstanden, oder habe ich das auch nur geträumt? Heute kann ich deine Worte vor lauter Emotionen kaum hören, sie rufen wie Marktschreier kurz vor Feierabend, und oft gehe ich einfach und schlage mit der Tür oder du seufzt und lachst über mich. Irgendwann geben wir uns dann auf, »schade drum«, wissen einfach nicht, wie wir die Andere in ihrer Andersartigkeit noch anerkennen könnten, selbst wenn wir wollten. Wann haben wir verlernt zu sprechen?
Hugo von Hofmannsthal zeigt in der Frühzeit der Psychoanalyse die Familie als Brutkasten menschlicher Neurosen: Bei den Atriden legt eine Generation der nächsten im Wortsinn die Axt in die Hand, rächt Klytämnestra an Agamemnon das Opfer der Tochter, treibt Elektra den Bruder zur blutigen Rache, träumt beider Schwester davon, dem Kreislauf zu entfliehen. Rebekka David, in Braunschweig bekannt durch bildstarke Inszenierungen, die Literatur von innen heraus umstülpen, sucht bei Hofmannsthal nach der Sprachlosigkeit und Emotionalisierung, die in aktuellen Diskursen Gräben zwischen den Positionen vertiefen. Wie sollen wir gemeinsam für eine Gesellschaft kämpfen, in der alle Gehör finden, wenn wir es nicht mal schaffen, am Abendbrottisch die eigene Familie zu verstehen?
Aufführungsdauer: ca. 1 h 30 min, keine Pause
Hinweis: In der Vorstellung »Elektra, wir müssen reden« kommt es inszenierungsbedingt zum Einsatz von Stroboskoplicht, das bei fotosensiblen Personen zu gesundheitlicher Beeinträchtigung führen kann.
Zur Inszenierung »Elektra, wir müssen reden.« liegen weitere Hinweise (Content Notes) vor. Diese können bei Bedarf im Bereich Barrierefreiheit: Sensorische Reize und Content Notes abgerufen werden.
»Das Atridendrama funktioniert gut, so ohne Krieg, dafür mit einer Familie, die nach einer langen Aussprache zumindest einigermaßen beisammen ist. Überspitzte Absurdität, Tragödie und ein klein wenig Diskursanalyse. Nina Wolfs Elektra ist so wunderbar durch den Traumawolf gedreht, dass es einen manchmal gruselt … Passt.«
»Es ist eine mehrfache Überschreibung des Ur-Stoffs, aber eine respektvolle … Mit Intensität, Witz, Einfallsreichtum. Brillant sind die Textsicherheit der Darstellenden und die sprachliche Gestaltungskraft. So wechselt die Inszenierung umstandslos zwischen Hofmannsthals Originaltext und eigenen Einschüben, zwischen der Antike und Weitungen in die heutige Echokammern- und Rechtsruck-Gesellschaft ... Als Elektra glänzt Nina Wolf. Langer Applaus.«